Absatz 4 stellt heraus, dass alle Formen kirchlichen Lebens – die rechtlich verfassten ebenso wie die nicht rechtlich verfassten – als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft eine innere und äußere Einheit bilden. Diese Formulierung knüpft an Artikel 3 Absatz 1 der Verfassung der EKM an. Es geht hier primär darum, die geistliche Verbundenheit der verschiedenen Formen kirchlichen und gemeindlichen Lebens zu betonen, die aneinander gewiesen sind und sich mit ihren verschiedenen Gaben achten, ergänzen und fördern sollen. Festgeschrieben wird auch die Verpflichtung der Landeskirche, diese Zusammenarbeit und Vernetzung zu fördern und zu unterstützen – eine der wichtigen Funktionen einer Landeskirche gegenüber den Gemeinden und anderen Formen kirchlichen Lebens.
Rechtlich wird mit diesen Aussagen zugleich die Grundlage für ein kirchenspezifisches Verständnis des Verhältnisses zwischen den kirchlichen Handlungsebenen gelegt, wie es in Artikel 14 näher entfaltet wird. Dieses Verständnis unterscheidet sich gerade wegen des Gedankens der Zeugnis- und Dienstgemeinschaft vom Verständnis des staatlichen Verfassungsrechts, das unterschiedliche Wirkungskreise von Bund, Ländern und Gemeinden kennt und dementsprechend ein grundrechtsgleiches Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden vorsieht (Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG)).
Die in dem gesamten Artikel vollzogene Öffnung des Begriffs der Gemeinde wird zurzeit in vielen Landeskirchen innerhalb der EKD bedacht, sachlich gefördert und rechtlich ermöglicht. Die Entwicklung und die theologische und rechtliche Debatte sind nicht abgeschlossen. Die Formulierungen der neuen Verfassung möchten Entwicklungen in der Zukunft ermöglichen und Räume für Initiativen innerhalb der Kirche öffnen.
Die Öffnung im Gemeindebegriff durch die Artikel 3 und 19 ist im Stellungnahmeverfahren intensiv diskutiert worden. Bei der Auswertungstagung in Loccum haben sich zwei Workshops parallel damit befasst. Es gab innerhalb der Landeskirche eine ganze Anzahl kritischer Stimmen zu dieser Öffnung. Sie machten geltend, die traditionelle Ortsgemeinde müsse eine klare Priorität behalten. Auch könne der Ausdruck „bilden als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft eine innere und äußere Einheit“ einen Konformitätsdruck zum Ausdruck bringen, der die Autonomie der einzelnen Gemeinde gefährde.
Demgegenüber wurde in zahlreichen Diskussionen auch breite Unterstützung für die Öffnung geäußert. Sie kam von Vertreterinnen und Vertretern aus Kirchengemeinden und Kirchenkreisen, aber etwa auch aus dem Bereich von Migrantengemeinden, aus der Diakonie, von funktionalen Diensten und von Exponenten von Fresh expressions of church. Auch in den Debatten im Plenum der Landessynode, in den anderen kirchenleitenden Organen, in der Stellungnahme der VELKD und bei der Auswertungstagung in Loccum wurde für die Öffnung breite Zustimmung geäußert. Der Verfassungsausschuss hat sich daher dafür ausgesprochen, Artikel 3 gegenüber dem ersten Entwurf nahezu unverändert zu lassen. Eine kleine redaktionelle Änderung wurde nur in Absatz 3 vorgenommen, wo jetzt wie sonst auch von den „nicht rechtlich verfassten Formen“ im Plural gesprochen wird. Die neue Kirchenverfassung will die bestehenden Kirchengemeinden nicht in Frage stellen oder in ihrer Bedeutung herabsetzen. Sie will aber im Blick auf die Zukunft Türen öffnen und neue Möglichkeiten für die Entwicklung der Kirche schaffen.
In allen Debatten bestand ein breiter Konsens, dass es theologisch unerlässlich sei, auf die „innere und äußere Einheit“ von Kirchengemeinden und alle anderen Formen kirchlichen Lebens zu verweisen. Allerdings wurde angeregt, die Geltung des Subsidiaritätsprinzips ausdrücklich zu formulieren, um die notwendige Ausgewogenheit des Verhältnisses von Einheit und Eigenständigkeit der unterschiedlichen Organisationsformen besser zum Ausdruck zu bringen. Dieser Gesichtspunkt wurde durch die Hinzufügung eines dritten Absatzes in Artikel 14 berücksichtigt.