Artikel 77 | Erprobungen

(1) 1Zur Erprobung neuer Strukturen in einzelnen Bereichen kann die Landessynode ein Kirchengesetz beschließen, das Erprobungsregelungen ermöglicht. 2Erprobungsregelungen dürfen für befristete Zeit von einzelnen Vorschriften dieser Verfassung, der Kirchengesetze und der Rechtsverordnungen abweichen.

(2) Für die Beratung und Abstimmung über ein Erprobungsgesetz und dessen Änderung gelten die Bestimmungen über die Änderung der Verfassung entsprechend, wenn das Erprobungsgesetz eine Abweichung von der Verfassung ermöglicht.

(3) 1Erprobungsregelungen sind durch Verordnung mit Gesetzeskraft zu treffen. 2Die Bestimmungen über die Dringlichkeit einer Verordnung mit Gesetzeskraft sind dabei nicht anzuwenden.

Erläuterungen zu Artikel 77

Seit dem ersten Erprobungsgrundlagengesetz vom 15. Dezember 1995 werden neue Regelungen in der Landeskirche mitunter nicht sofort allgemeinverbindlich eingeführt, sondern in einzelnen Kirchenkreisen oder Kirchengemeinden erprobt. Solche Erprobungen erleichtern die Gesetzesfolgenabschätzung, und sie können die Diskussion über umstrittene Reformvorhaben durch praktische Erfahrungen versachlichen. Erprobungen haben sich daher als wichtiges Instrument zur Fortentwicklung des landeskirchlichen Rechts erwiesen. Um diese Bedeutung zu unterstreichen, werden in Artikel 77 erstmals die wichtigsten Grundsätze für Erprobungsvorhaben zusammengefasst, wie sie sich seit dem Jahr 1995 herausgebildet haben:

  • Absatz 1 stellt klar, dass Erprobungsregelungen einer kirchengesetzlichen Grundlage bedürfen, zu befristen sind und von einzelnen Vorschriften der Verfassung, der Kirchengesetze und der Rechtsverordnungen abweichen können.
  • Wenn ein Erprobungsgesetz Abweichungen von der Verfassung ermöglicht, gelten für seine Beratung und Verabschiedung nach Absatz 2 die Bestimmungen über Verfassungsänderungen (Artikel 70) entsprechend.
  • Die einzelnen Erprobungsregelungen werden nach Absatz 3 auf der Grundlage des Erprobungsgesetzes durch Verordnung mit Gesetzeskraft getroffen.

Das Erprobungsgrundlagengesetz von 1995 ist mittlerweile außer Kraft getreten. Es hatte zahlreiche Erprobungen ermöglicht, die heute als allgemeine Regelungen Bestandteil der KGO, des Finanzausgleichsgesetzes und anderer Gesetze sind. Zurzeit werden in der Landeskirche auf der Grundlage des Kirchengesetzes über die Grundlagen für die Erprobung neuer Leitungsstrukturen in den Kirchenkreisen (2. Erprobungsgrundlagengesetz) vom 8. Dezember 2010 folgende Regelungen erprobt:

  • Kirchenkreise mit mehreren Amtsbereiche (die sog. ephoralen Doppelspitzen in den Kirchenkreisen Hildesheimer Land-Alfeld und Lüneburg),
  • die Zuordnung der Superintendentur-Pfarrstellen zum Kirchenkreis (die sog. ephoralen Kirchenkreis-Pfarrstellen in insgesamt 14 Kirchenkreisen),
  • die Zuordnung der gemeindlichen Pfarrstellen zum Kirchenkreis und deren Besetzung durch den Kirchenkreisvorstand mit Zustimmung der betroffenen Kirchengemeinden (das sog. Kirchenkreispfarramt im Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg) und
  • die Mitgliedschaft von Kirchenkreisen in einem Kirchengemeindeverband (die Mitgliedschaft der Kirchenkreise Emden-Leer und Rhauderfehn im Evangelischen Diakonieverband in Ostfriesland).