Artikel 07 | Grundlagen und Formen der Kirchenmitgliedschaft

(1) Durch die Taufe sind alle Mitglieder der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zu Gliedern der einen Kirche Jesu Christi und zum allgemeinen Priestertum berufen.

(2) Mitglieder der Landeskirche sind alle Getauften, die evangelisch sind und die im Gebiet der Landeskirche ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, es sei denn, dass sie ausschließlich einer anderen evangelischen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören oder ihre Mitgliedschaft nach geltendem Recht aufgegeben haben.

(3) 1Jedes Mitglied der Landeskirche ist Mitglied einer Kirchengemeinde. 2Im Regelfall besteht die Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde, in deren Bereich das Mitglied seine Hauptwohnung hat. 3Das Mitglied kann sich für die Mitgliedschaft in einer anderen Kirchengemeinde entscheiden. 4Mit der Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde ist zugleich die Mitgliedschaft in dem jeweiligen Kirchenkreis verbunden. 5Das Nähere wird durch Kirchengesetz oder zwischenkirchliche Vereinbarung geregelt.

(4) Die Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft in zwei Kirchengemeinden kann durch Kirchengesetz eröffnet werden.

(5) 1Wo im Bereich der Landeskirche evangelisch-lutherische Kirchenmitglieder nach bisher bestehender Ordnung einer einparochial reformierten Kirchengemeinde angehören, sind sie Mitglieder der Landeskirche und behalten ihren Bekenntnisstand. 2Unter den gleichen Voraussetzungen können Mitglieder der Evangelisch-reformierten Kirche einer Kirchengemeinde im Bereich der Landeskirche angehören.

Erläuterungen zu Artikel 7

Der Artikel eröffnet den Abschnitt über die Mitglieder der Kirche und macht grundsätzliche Aussagen über Begründung und Ausgestaltung der Kirchenmitgliedschaft.

Absatz 1 ist neu. Während die bisherige Verfassung sofort mit einer rechtlichen Definition der Kirchenmitgliedschaft (jetzt Absatz 2) begann, wird jetzt zunächst der grundlegende geistliche Charakter der Mitgliedschaft benannt: Die Mitgliedschaft in der Kirche wird immer durch die Taufe begründet, also durch ein geistliches Geschehen. Mit ihr ist verbunden die Zugehörigkeit zu der einen, weltweiten Kirche Jesu Christi. Aus der Taufe ergibt sich für alle die Berufung zum allgemeinen Priestertum. Diese auf 1. Petrus 2, 9 zurückgehende, von Luther neu formulierte Überzeugung besagt, dass alle Christinnen und Christen durch die Taufe unmittelbar Zugang zu Gott haben und keiner Mittlerschaft durch Kirche oder Priester bedürfen. Klassisch ist Luthers Formulierung in der Schrift „An den christlichen Adel“ von 1520: „Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied … Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei.“ Alle sind dadurch berufen, den Glauben in der Welt zu bezeugen (vgl. dazu weiter unten zu Artikel 11). Der Absatz lehnt sich an Artikel 10 Absatz 1 der Verfassung der EKM an. Aufgrund berechtigter Hinweise im Stellungnahmeverfahren wurde in diesem Absatz wie bei Satz 2 der Präambel im Blick auf das Verhältnis von verborgener und sichtbarer Kirche behutsamer formuliert. So heißt es jetzt nicht mehr „Alle Mitglieder der Landeskirche sind Glieder der einen Kirche Jesu Christi“ – eine in der Tat zu weitgehende, weil dem menschlichen Urteil entzogene Aussage. Stattdessen wird davon gesprochen, dass alle Mitglieder zu Gliedern der einen Kirche Jesu Christi und zum allgemeinen Priestertum „berufen“ sind.

Absatz 2 nimmt in sprachlich leicht veränderter Form die bisherige rechtliche Bestimmung der Kirchenmitgliedschaft auf. Aufgrund von Voten im Stellungnahmeverfahren wurde gegenüber dem ersten Entwurf die – bisher stillschweigend vorausgesetzte und jederzeit ganz unstrittige – Aussage explizit aufgenommen, dass jedes Mitglied der Landeskirche Mitglied einer Kirchengemeinde ist. Nach wie vor wird die Mitgliedschaft primär durch den Wohnsitz begründet: Alle getauften evangelischen Christinnen und Christen, die in ihrem Bereich wohnen, gehören der Landeskirche an. Ausgenommen sind zwei Gruppen: Einerseits alle, die ausschließlich (es gibt wenige Formen von Doppelmitgliedschaft, insbesondere mit der Herrnhuter Brüdergemeine) einer anderen Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören, also insbesondere Mitglieder der reformierten Kirche oder von Freikirchen. Anderseits alle, die aus der evangelischen Kirche ausgetreten sind, also „ihre Mitgliedschaft nach geltendem Recht aufgegeben haben.“ Diese Formulierung wurde neu aufgenommen in Anlehnung an Artikel 9 Absatz 2 der Verfassung der Nordkirche. Sie ist notwendig, da aus der Kirche Ausgetretene getauft sind und deshalb nicht einfach als Nichtchristen angesehen werden dürfen.

Im ersten Entwurf hatte Absatz 3 die Rechte nicht religionsmündiger Kinder beschrieben. Er hatte in veränderter Form an Artikel 5 Absatz 2 der bisherigen Kirchenverfassung angeknüpft. Dieser Absatz ist nach Hinweisen im Stellungnahmeverfahren ersatzlos entfallen. Es zeigte sich einerseits, dass er zu etlichen Missverständnissen (etwa Wahlrecht oder Abendmahlszulassung nicht getaufter, nicht religionsmündiger Kinder) Anlass gab. Andererseits ist er nicht zwingend notwendig, da schon durch Artikel 10 („Einladende Kirche“) unstrittig ist, dass auch ungetaufte Kinder zum Kindergottesdienst, zu anderen kirchlichen Veranstaltungen oder zum evangelischen Religionsunterricht eingeladen sind. Die Rechte ungetaufter Kinder im Blick auf Taufe und ggf. auf eine kirchliche Bestattung sind in den jeweiligen Kasualgesetzen geregelt oder ergeben sich aus generellen theologischen und seelsorglichen Gesichtspunkten und bedürfen keiner verfassungsrechtlichen Regelung.

Absatz 3 eröffnet die Möglichkeit der Umpfarrung bzw. der Wahl einer Kirchengemeinde durch das Kirchenmitglied. In der bisherigen Verfassung war diese Möglichkeit in Artikel 23 Absatz 3 im Abschnitt über die Kirchengemeinde geregelt und hatte einen erkennbar zurückhaltenden Ton: „In besonderen Fällen kann auf Antrag die Zugehörigkeit eines Kirchengliedes zu einer anderen Kirchengemeinde zugelassen werden.“ Die neue Regelung hält zwar am Verhältnis von Regel (Wohnort) und Ausnahme (Wahl durch das Mitglied) fest, sieht beide Möglichkeiten jedoch als gleichberechtigt und sinnvoll an und trägt damit dem veränderten Verhalten von Mitgliedern der Kirche Rechnung, die sich nicht nach dem Wohnort, sondern nach anderen Kriterien (soziale Bezüge, geistliches Profil einer Gemeinde usw.) mit einer Kirchengemeinde verbunden wissen. Einzelheiten zur Umpfarrung bzw. zur Wahl einer Kirchengemeinde können einer Regelung in der Kirchengemeindeordnung (KGO) vorbehalten bleiben.

Ausdrücklich benannt wird, dass mit der Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde immer auch die Mitgliedschaft in einem Kirchenkreis verbunden ist. Ähnlich ist es etwa in Artikel 3 Absatz 2 der Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sowie in Artikel 9 Absatz 3 der Verfassung der Nordkirche geregelt. Der Grund liegt darin, dass die Kirchenkreise in der neuen Verfassung generell als eigenständige kirchliche Handlungsebene angesehen werden. Praktische Relevanz hat die Frage etwa dann, wenn auch die Kirchenkreise das Recht auf Einsicht in die Liste der Kirchenmitglieder haben sollen, was andernfalls aus Gründen des Datenschutzes nicht ohne weiteres möglich wäre.

Absatz 4 ist neu gegenüber der bisherigen Verfassung und soll im Zusammenhang mit der Öffnung des Begriffs der Gemeinde für die Zukunft die Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft insbesondere in einer Personal- und einer Parochialgemeinde (siehe unten Artikel 19) offenhalten. Die Zulässigkeit einer Doppelmitgliedschaft hängt allerdings davon ab, dass sie durch ein Kirchengesetz ermöglicht wird. Gegenwärtig wäre eine Doppelmitgliedschaft nicht mit dem Kirchenmitgliedschaftsgesetz der EKD vereinbar; dieses Gesetz müsste also geändert werden. Dabei wären auch die notwendigen Klärungen (Wahlrecht, finanzielle Fragen usw.) vorzunehmen. Für die Möglichkeit von Doppelmitgliedschaften hatte sich der Querschnittsausschuss „Strukturen zukunftsfähig machen“ der 24. Landessynode in einem Bericht im Januar 2013 ausgesprochen. Im Stellungnahmeverfahren war die Eröffnung dieser Möglichkeit nicht unumstritten. Neben Skepsis wurde aber auch viel Zustimmung geäußert, etwa aus dem Bereich der Diakonie, wo eine Doppelmitgliedschaft in einer Diakoniegemeinde an einer diakonischen Einrichtung und zugleich in einer Wohnortgemeinde als sinnvolle Perspektive erschien. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft soll deshalb erhalten bleiben.

Absatz 5 ist gegenüber der geltenden Verfassung nur geringfügig, jedoch nicht in der Sache verändert. Die besondere Situation der einparochialen Kirchengemeinden insbesondere in Ostfriesland wird konkret benannt, um ihren Ausnahmecharakter deutlich zu machen.