Artikel 11 | Zeugnis, Dienst und Verkündigung

(1) Durch die Taufe sind alle Mitglieder der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zu Zeugnis und Dienst berufen. Sie haben Teil an dem einen Auftrag Jesu Christi zur Verkündigung des Evangeliums.

(2) Für bestimmte Aufgaben ordnet die Landeskirche einzelne Dienste besonders und überträgt sie zur ehrenamtlichen oder beruflichen Ausübung. Ehrenamtliche und berufliche Dienste sind in einer Dienstgemeinschaft aufeinander bezogen. Beide dienen gleichwertig dem Auftrag Jesu Christi.

(3) Der Verkündigungsdienst wird wahrgenommen im Amt der öffentlichen Verkündigung in Wort und Sakrament, in der Seelsorge, der Kirchenmusik, der Bildung und der Diakonie, im Lektorendienst sowie in weiteren Diensten für Gottesdienst und Gemeinde. Leitung und Verwaltung dienen dem Auftrag der Verkündigung.

(4) Mitarbeitende werden in ihre Dienste in einem Gottesdienst eingeführt. Diakoninnen und Diakone werden für ihren Dienst eingesegnet.

(5) Bestimmte Dienste können im Rahmen einer kirchengesetzlichen Regelung auch Personen übertragen werden, die nicht Mitglied der Landeskirche oder einer anderen christlichen Kirche sind.

Erläuterungen zu Artikel 11

In Artikel 1 Absatz 1 ist der Auftrag der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers mit allen ihren Mitgliedern und Mitarbeitenden grundlegend bestimmt worden: die Verantwortung für die Erhaltung und Förderung der Verkündigung des Wortes Gottes. Weiterhin wird dort beschrieben, dass die Verkündigung in Wort und Tat in verschiedenen Formen kirchlichen Handelns wahrgenommen wird (Artikel 1 Absatz 2). In den Artikeln 11 und 12 wird nun beschrieben, wie der allgemeine Auftrag zur Verkündigung wahrgenommen und geregelt wird.

Im Stellungnahmeverfahren gab es zu diesen Artikeln viele Rückmeldungen und kritische Anfragen. Die Haupteinwände waren:

1. Vielen hat sich nicht erschlossen, dass in Artikel 12 vom „Amt der öffentlichen Verkündigung“ gesprochen wird, davon aber „Aufgaben der Verkündigung“, die in aller Regel doch auch öffentlich geschehen, zu unterscheiden sind.

2. Wenn Pastorinnen und Pastoren sowie Prädikantinnen und Prädikanten erwähnt werden, dann dürfen die Lektorinnen und Lektoren, die auch Gottesdienste leiten, nicht unerwähnt bleiben.

3. Diakoninnen und Diakone, die nicht nur wie viele andere Mitarbeitende jeweils auf einer Stelle eingeführt werden, sondern am Anfang ihres Dienstes in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für ihren Dienst einmalig eingesegnet werden, sollten in der Kirchenverfassung ebenfalls erwähnt werden als eine der wesentlichen Berufsgruppen in der Landeskirche.

Um Kritik und Ergänzungswünsche aufzunehmen und terminologisch für mehr Klarheit zu sorgen, wurden die beiden Artikel 11 und 12 umfänglich überarbeitet und die Aussagen über Zeugnis, Dienst und Verkündigung eindeutiger einander zugeordnet und voneinander abgegrenzt. Dabei muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass hier Fragen berührt und noch nicht abschließend geklärt sind, die derzeit im deutschen Protestantismus breit theologisch diskutiert werden. Eine solche Klärung kann ein Verfassungstext nicht vorwegnehmen.

Artikel 11 spricht dabei von dem einen und umfassenden Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums, der in vielen und unterschiedlichen Diensten wahrgenommen wird. In Artikel 12 ist nun nur noch vom „Amt der öffentlichen Verkündigung“ die Rede, das durch Ordination oder Beauftragung übertragen wird.

In Artikel 11 eröffnet Absatz 1 den Abschnitt über die Dienste in der Kirche (Artikel 11 bis 13) mit einer einladenden Formulierung, die auf der Basis des allgemeinen Priestertums aller Getauften die Berufung aller Mitglieder der Kirche zu Zeugnis und Dienst herausstellt. Die bisherige Verfassung hatte hier eine eher abgrenzende und weniger einladende Formulierung: „Unbeschadet der Verpflichtung jedes Kirchengliedes, das Evangelium durch Wort und Tat zu bezeugen, sollen die öffentliche Verkündigung und die Sakramentsverwaltung in der Landeskirche und den Kirchengemeinden nur mit rechtmäßigem Auftrag geschehen (Amt der Verkündigung)“ (Artikel 10 Absatz 1 bisherige Verfassung).

Es ist für die Landeskirche als lutherische Kirche angemessen, den Abschnitt über die Dienste in der Kirche mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Taufe und das Allgemeine Priestertum (siehe dazu oben ausführlicher zu Artikel 7 Absatz 1) zu eröffnen. Dies wurde an dieser Stelle gegenüber dem ersten Verfassungsentwurf verstärkt. Die Berufung und Befähigung zum Allgemeinen Priestertum bezieht sich bei Luther einerseits auf eine geistliche Würde, andererseits auf das individuelle Zeugnis der Christinnen und Christen etwa im privaten Bereich und im persönlichen und beruflichen Umfeld. Neu ist auch Satz 2 mit Bezug auf „einen Auftrag Jesu Christi zur Verkündigung des Evangeliums“, der allen gilt. Er gibt der Berufung aller ein noch stärkeres Gewicht.

Absatz 2 ist neu. Er führt vom Gedanken des Allgemeinen Priestertums aller in Absatz 1 weiter zur Breite der besonderen kirchlichen Dienste, die notwendig sind, um den Auftrag der Kirche zu erfüllen. Diese Dienste werden durch die Kirche jeweils geordnet und ehrenamtlich oder beruflich übertragen. Hier schließt nun die grundsätzliche Aussage über das Miteinander und die Gleichrangigkeit von ehrenamtlichem und hauptamtlichem Dienst an, die im ersten Entwurf den Absatz 3 bildete. Dieser Passus wurde beinahe wörtlich aus Artikel 1 Absatz 4 der bestehenden Verfassung übernommen. Die Formulierung war im Jahr 2002 in die Kirchenverfassung neu aufgenommen worden. Zur Einpassung in den Zusammenhang wurde lediglich der Singular in den Plural („Dienste“) überführt und die Formulierung „mit gleichem Rang“ durch „gleichwertig“ ersetzt. Die Bestimmung konkretisiert für die genannten Dienste den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am Auftrag der Kirche in Artikel 2 Absatz 2.

Nach der Nennung des allgemeinen Auftrages zur Verkündigung in Absatz 1, der Beschreibung der Notwendigkeit einer Ordnung und Übertragung an bestimmte Personen für bestimmte Dienste in Absatz 2, werden nun die wichtigsten kirchlichen Handlungsfelder ausdrücklich aufgeführt, in denen der Verkündigungsdienst wahrgenommen wird, ohne dass hier Vollständigkeit möglich ist. Die Grundentscheidung, eine große Breite von Diensten als Ausgestaltung des einen Verkündigungsdienstes zu verstehen, folgt Artikel 15 Absatz 1 der Verfassung der EKM. Sie legt bewusst einen sehr breiten Begriff von „Verkündigung“ zugrunde. Ein Gewinn dieses Vorgehens ist u. a., dass Kirchenmusik nicht mehr wie im ersten Entwurf (das war zu Recht im Stellungnahmeverfahren kritisiert worden) neben der Verkündigung, sondern als eine Gestalt von Verkündigung zu stehen kommt.

In der jetzigen Aufzählung steht an erster Stelle das in Artikel 12 dann näher beschriebene „Amt der öffentlichen Wortverkündigung in Wort und Sakrament“. Es wird in der Landeskirche durch Pastorinnen und Pastoren sowie Prädikantinnen und Prädikanten wahrgenommen. Artikel 12 sieht in Absatz 4 eine Möglichkeit der Ausweitung auf weitere Dienste vor. Hiervon zu unterscheiden sind die vielen Verkündigungsdienste, die nachfolgend benannt werden und die auch überwiegend öffentlich geschehen.

Aufgenommen in die Reihe der kirchlichen Handlungsfelder, in denen der Verkündigungsdienst wahrgenommen wird, wurde der Lektorendienst. Die Bezeichnung „Lektorendienst“ meint den Dienst von Ehrenamtlichen, die den Auftrag zur Leitung von Gottesdiensten und zum Halten von persönlich angeeigneten Lesepredigten haben. Dabei sind Lektorinnen und Lektoren von Prädikantinnen und Prädikanten, deren Beauftragung das eigenständige Verfassen von Predigten beinhaltet (s. Artikel 12), unterschieden.

Die gegenüber dem ersten Entwurf ergänzte Formulierung „… sowie in weiteren Diensten für Gottesdienst und Gemeinde“ macht deutlich, dass besonders an alle Dienste gedacht ist, die am Gottesdienst mitwirken: Diakoninnen und Diakone, Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, Küsterinnen und Küster, Lektorinnen und Lektoren, Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher usw..

Es wird aber auch deutlich, dass Verkündigungsdienst nicht nur im Gottesdienst, sondern auch in vielen anderen Handlungsfeldern in der Gemeinde geschieht, z. B. in Gemeindekreisen oder evangelischen Kindertagesstätten.

Absatz 4 ist neu und bringt zum Ausdruck, dass es sich beim Verkündigungsdienst in den genannten Handlungsfeldern um die Übertragung eines Dienstes durch die Kirche handelt. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass die Mitarbeitenden in dem jeweiligen Handlungsfeld als ehrenamtlich oder hauptamtlich Mitarbeitende in einem Gottesdienst mit Gebet und Segen in ihren Dienst eingeführt werden. Der Absatz lehnt sich an Artikel 15 Absatz 3 der Verfassung der EKM an.

Eine besondere Erwähnung finden an dieser Stelle Diakoninnen und Diakone, die in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers beim Eintritt in den kirchlichen Dienst einmalig zu Beginn ihrer Tätigkeit für den kirchlichen Dienst eingesegnet werden. Diese Einsegnung ist von einer Einführung in den konkreten Dienst auf einer Stelle zu unterscheiden.

Absatz 5 eröffnet die Möglichkeit, bestimmte Dienste auch Personen zu übertragen, die einer anderen christlichen Kirche angehören oder die gar nicht Mitglied einer Kirche sind. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels ist es teilweise gar nicht mehr möglich, die Funktionsfähigkeit einzelner kirchlicher Arbeitsbereiche ohne die Anstellung von Nichtmitgliedern der Landeskirche zu sichern. In besonderen Fällen werden sogar Mitarbeitende mit speziellen, z. B. interkulturellen Kompetenzen, gesucht, die allenfalls in Ausnahmefällen evangelisch-lutherisch sind.

Im Zusammenhang mit der Anstellung von Nichtmitgliedern sind viele Fragen zu bedenken, vor allem die Frage, ob und inwieweit das Profil einer Einrichtung davon abhängt, dass die Mitarbeitenden Mitglieder einer Gliedkirche der EKD sind. In der Richtlinie über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der EKD und ihrer Diakonie, der sog. Loyalitätsrichtlinie vom 9. Dezember 2016, die einen Rahmen für die Gesetzgebung der Landeskirchen bildet, sind die wichtigsten aktuellen Grundsätze zur Klärung dieser Fragen zusammengefasst. In der Verfassung müssen die an die Loyalitätsrichtlinie anknüpfenden Regelungen aber so offen formuliert werden, dass sie auch Raum für Veränderungen des jetzigen Rechtszustandes lassen. Wichtig ist dabei, dass die Verfassung eine Öffnung jeweils an die Ausgestaltung durch eine kirchengesetzliche Regelung bindet. Erst durch eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung erhält Artikel 11 Absatz 5 seine rechtliche Kontur. Bewerberinnen oder Bewerber um eine kirchliche Stelle können also nicht unmittelbar unter Berufung auf die Verfassung einen Anspruch auf Einstellung geltend machen, der über die aktuell bestehenden einfachgesetzlichen Regelungen hinausgeht.

Die Formulierung „bestimmte Dienste“ soll deutlich machen, dass die Möglichkeit einer Ausnahme vom Einstellungserfordernis der Kirchenmitgliedschaft sich nicht auf alle Dienste beziehen muss. Auch die Differenzierung zwischen Mitgliedern der Landeskirche und einer anderen christlichen Kirche nimmt darauf Bezug, dass die Übernahme von Aufgaben der Verkündigung, der Seelsorge und der evangelischen Bildung die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche und die Übernahme von Aufgaben mit einer erheblichen Entscheidungs- oder Repräsentationsverantwortung zumindest die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche voraussetzt.