Absatz 3 wurde aufgrund des Stellungnahmeverfahrens neu eingefügt. Die Formulierung knüpft an Artikel 5 Absatz 2 der Nordkirchen-Verfassung an und soll die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips als leitender Grundsatz für die Zuordnung von Aufgaben zu den kirchlichen Handlungsebenen über die Konkretisierung in den Artikeln 31 Absatz 2 und 43 Absatz 3 hinaus noch deutlicher hervorheben. Das Subsidiaritätsprinzip soll die konkreten kirchlichen Lebensvollzüge an den einzelnen kirchlichen Orten schützen und gleichzeitig zu einer möglichst wirkungsvollen Erfüllung des kirchlichen Auftrages beitragen. Es gilt grundsätzlich für alle Formen kirchlichen Lebens, auch für die nicht rechtlich verfassten Formen im Sinne von Artikel 3 Absatz 3. Wegen seiner besonderen Bedeutung für das Verhältnis von Kirchengemeinde, Kirchenkreis und Landeskirche wird die Grundsatzbestimmung über das Subsidiaritätsprinzip in ihrer Formulierung aber vorrangig auf diese Handlungsebenen bezogen und in den systematischen Zusammenhang des Artikels 14 eingeordnet. Mit Rücksicht auf die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft aller Formen kirchlichen Lebens wird das Subsidiaritätsprinzip außerdem wie üblich mit dem Grundsatz der innerkirchlichen Solidarität verbunden. Diese Verbindung soll verhindern, dass das Subsidiaritätsprinzip durch eine zu große Divergenz in der Verteilung der finanziellen und anderen Ressourcen in Teilen der Landeskirche faktisch ausgehöhlt wird, weil einzelne Kirchengemeinden und Kirchenkreise nicht mehr über die Ressourcen verfügen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Der Grundsatz der innerkirchlichen Solidarität ist gleichzeitig die Grundlage für den innerkirchlichen Finanzausgleich, der in Artikel 83 näher ausgestaltet wird.
Als allgemeiner Strukturgrundsatz des kirchlichen Verfassungsrechts hat das Subsidiaritätsprinzip den Rang einer objektivrechtlichen Gewährleistung. Anders als das in Absatz 2 garantierte Selbstbestimmungsrecht gewährt es also keinen subjektiven, ggf. einklagbaren Anspruch. Die Kirchengemeinden, die Kirchenkreise und die Landeskirche müssen das Subsidiaritätsprinzip aber bei der Anwendung und Auslegung des geltenden Rechts beachten. Einerseits sind also die Kirchengemeinden bzw. die Kirchenkreise grundsätzlich verpflichtet, die ihnen zukommenden Aufgaben auch tatsächlich zu erfüllen und sie nicht vorschnell an eine andere Ebene abzugeben. Andererseits tragen die Kirchenkreise und die Landeskirche die Beweislast, wenn sie als nächsthöhere Ebene eine Aufgabe übernehmen. Außerdem haben sie den Gestaltungsauftrag, in ihrer Rechtsetzung dafür zu sorgen, dass das Subsidiaritätsprinzip tatsächliche Wirkung entfalten kann. Das geschieht vor allem durch Regelungen über Zuständigkeiten und Verfahren. Diese sind vorrangig auf einfachgesetzlicher Ebene angesiedelt. An zwei Stellen hat der Verfassungsausschuss solche Regelungen aber unmittelbar in den Verfassungsentwurf eingefügt:
- In Artikel 34 Absatz 3 wird jetzt ergänzend klargestellt, dass die Kirchenkreissynode, die ja zum überwiegenden Teil aus Vertreterinnen und Vertretern der Kirchengemeinden besteht, über alle Grundsätze der Arbeit des Kirchenkreises entscheidet. Dazu zählen auch alle Angelegenheiten, die zu einer Verlagerung von Aufgaben der Kirchengemeinden auf den Kirchenkreis führen.
- Die neu vorgeschlagene Regelung über Beteiligungsstrukturen in der Landeskirche und in den Kirchenkreisen (Artikel 16) trägt mit zur Sicherung des Subsidiaritätsprinzips bei, indem eine nachgeordnete Handlungsebene die rechtlich abgesicherte Möglichkeit hat, ihre Belange in Entscheidungsprozesse der nächsthöheren Handlungsebene einzubringen.
Mit dem Selbstbestimmungsrecht, dem Gedanken der Zeugnis- und Dienstgemeinschaft, dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der innerkirchlichen Solidarität benennt Artikel 14 zusammenfassend die wichtigsten Grundsätze für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den kirchlichen Handlungsebenen. Für alle Beteiligten resultiert daraus die Aufgabe, durch ihre Rechtsetzung und ihr tatsächliches Handeln praktische Konkordanz zwischen diesen Grundsätzen herzustellen, sie einander also so zuzuordnen, dass sie jeweils optimale Wirksamkeit entfalten.