Erläuterungen zu Artikel 72
Artikel 72 enthält die Regelungen über das sog. ius liturgicum, also die Befugnis, Regelungen für die Ordnung von Gottesdiensten zu schaffen. Das ius liturgicum steht nach lutherischem Verständnis originär keiner Person, keinem Amt oder Organ in der Kirche allein zu, sondern es muss im Konsens wahrgenommen werden. Das spiegelt sich u. a. darin wieder, dass die Ordnung des Gottesdienstes und der Amtshandlungen auf der Ebene der Kirchengemeinde nach Artikel 23 Absatz 3 Nummer 2 in die gemeinsame Zuständigkeit von Kirchenvorstand und Pfarramt fällt. Artikel 72 befasst sich im Sinne des Konsensprinzips in liturgischen Fragen einerseits mit dem Zusammenwirken der landeskirchlichen Organe und andererseits mit dem Zusammenwirken der Handlungsebenen Landeskirche, Kirchenkreis und Kirchengemeinde bei der Einführung oder Veränderung von Agenden, Gesangbüchern, Perikopenordnungen und Katechismen.
Artikel 72 entspricht weitgehend dem Artikel 123 der bisherigen Verfassung. Veränderungen wurden bei folgenden Punkten vorgenommen:
- Die neue Fassung lässt nach wie vor Raum für landeskirchliche Ordnungen. Sie berücksichtigt aber, dass Ordnungen für den Gottesdienst mittlerweile meist von der VELKD beschlossen und dann von der Landeskirche übernommen werden.
- Im Blick auf die mit Wirkung zum 1. Advent 2018 beschlossene Veränderung der in den Gottesdiensten zu verwendenden Bibeltexte wurden Perikopenordnungen ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen.
- Die Mitwirkung des Kirchensenates ist entfallen. Zuständig sind jetzt nur noch die kirchenleitenden Organe Landesbischöfin bzw. Landesbischof, Bischofsrat und Landessynode, die übereinstimmende Beschlüsse zu fassen haben (Bischofsrat und Landessynode) oder zustimmen müssen (Landesbischöfin oder Landesbischof).
- In ein Stellungnahmeverfahren werden jetzt auch die Kirchengemeinden einbezogen.
- Anstelle eines förmlichen Stellungnahmeverfahrens wird jetzt auch ein Erprobungsverfahren ermöglicht, wie es zuletzt im Rahmen der Perikopenrevision praktiziert wurde. Bei diesem Verfahren hatten die beteiligten Kirchengemeinden die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit den erprobten Texten direkt online der VELKD zu übermitteln.